Montag, 11. November 2013

Zeitgeister

1. Geist

Ideenschwanger hockt vor der Novelle,
das dumpfe Hirn zum Konvolut verwebt,
ein Faulpelz, der sich höchsten Ruhm erstrebt,
und mit ihm Geld, am besten auf der Stelle.

Weil er was kann, wird auch der finanzielle
Erfolg ihm hold sein, glaubt er, und erlebt
tagtäglich vor der Glotze festgeklebt,
wie's gehen könnte, so ganz auf die Schnelle.

Da sitzt er nun vorm Bildschirm des PC's
auf seinem allerwertesten Gesäß,
die Finger tippbereit wie nie zuvor.

Das Schreiben läge ihm im Blutgefäß.
Nun wird er, seinem Fleiß bei Nacht gemäß,
ein bald bekannter großer Buchautor!

2. Geist

Der bald bekannte große Buchautor
sucht für den Kassenschlager wie verhext
die Überschrift, den Titel, den man kleckst
gleich obenauf, ein Hit für jedes Ohr!

„Wie wäre es mit Stimmen aus dem Moor?“
„Das gibt’s doch schon! Wer weiß, was dem erwächst?
Ich weiß nicht, wo du dich versteckst,
du Meisterwerk! Ich sauf erstmal Liquor.“

Gesagt, getan. Anstatt er endlich Lettern tippt,
sieht man den Kerl, der selig nippt und kippt.
Ihm brennt die Lust im Schlund, gluckst mit Rumor.

Vor schwerer Arbeit kommt stets der Genuss,
gut Ding braucht Schnaps erst, dann den Musenkuss.
Sein Auge klebt am leeren Monitor.

3. Geist

Sein Auge klebt am leeren Monitor;
starrt vor sich hin und wartet auf das erste Wort.
Steht dieses fest, gehts weiter usf.
Der Rest ist Zierrat, Schnörkel und Dekor.

Und Frage über Frage kriecht empor:
Wer handelt wie und wann, an welchem Ort?
Thematisch reizt ihn alles – Liebe, Mord,
das Leben einer Frau mit Labrador ...

Ideen gibt’s zuhauf, sind kein Problem.
Drum macht er es sich erst einmal bequem.
„Prost, guter Geist, und mach nicht solche Welle!“

Die Nacht lässt uns ein wenig auf sich warten,
noch blinkt kein Mond durch das Gestrüpp im Garten
und ruht der Abend draußen auf der Schwelle.

4. Geist

Der Abend ruhet draußen auf der Schwelle,
um Häuserwände pfeift ein kalter Wind,
weht diesen Tag hinfort, der stumm zerrinnt.
Bis vor 'ner Stunde schien die Sonne helle.

Ist nicht die Nacht die unbegrenzte Quelle,
der Mär Geburtskanal, der hier beginnt?
Was jetzt ein Hirn in Einsamkeit ersinnt,
birgt jenen Stoff für Intellektuelle!

Wenn ihm der Titel in die Finger käme
und ihn ergriffe, seine Hände nähme!
Ihm fiel auch die Geschichte ein - zur Hölle!

Des Dichterlings erbarmt sich kein Gedanke,
im Schoße döst die untätige Pranke.
Verträumten Blicks durchmisst er die Parzelle:

5. Geist

Verträumten Blicks durchmisst er die Parzelle:
beschreitet Wege und prüft mit gestrengen,
mit Blicken, bleibt auch an der Traufe hängen:
Wann wechselt er wohl deren Dichtungsschelle?

Das ist die Frage, denkt er. Finanzielle
Gegebenheiten, die ihn stets beengen,
erwachsen aus verschiednen Lebenszwängen -
gemessen an dem Schreibversuch, ne Bagatelle!

Soll doch der Regen aus dem Loche fließen!
Die Pflanzen drunter braucht er dann nicht gießen.
Da weckt ein lautes Tirilieren ihn sonor.

Ein zartes Lächeln macht sich breit und breiter,
und allem Anschein nach macht sie ihn heiter:
Die Nachtigall singt mit dem Himmelschor.

6. Geist

Die Nachtigall singt mit dem Himmelschor,
Gedanken gehen mit dem Klang auf Reisen.
Dem Schreiberling beginnts im Kopf zu kreisen.
Schwupps, wird ihm schummrig, er sinkt hin - ins Moor.

Im Moor, versperrter als ein Banktresor
(Wie viele Kinder wurden dort zu Waisen
und lieget manches auch bei all den Greisen?),
verbergen böse Taten Schilf und Rohr!

Er wähnt die Leichen unter einem Galgen
um beste Plätze in dem Sumpf sich balgen!
Daselbst die Weiden tragen Trauerflor!

Ein Schlag! So wahr der liebe Gott mir helf!
Der Kirchturm dröhnt – die Uhr schlägt Zwölf!
Just überm Wald verglüht ein Meteor.

7. Geist

Just überm Wald verglüht ein Meteor.
Wo sonst der Mond stand, gähnt ein düstres Loch,
dem eine Viper sich entwand, entkroch.
Und den Betrachter schüttelt ein Tremor.

War Angst der Grund, wars, dass er furchtbar fror?
Womöglich keins von beiden. Ja, das roch
im Endeffekt nach Fantasie! Jedoch -
ihm war zum Heulen, ihm, dem armen Tor.

Behände greift er nach der Schnäpskenpulle
„Wenn das so weitergeht, werd ich machulle!
Verschwinde, Geist, verschwinde auf der Stelle!

Vielleicht hilft mir zur Not ein Stoßgebet?“
Er ringt um Worte, ringt um Qualität.
Voll Schwermut streifte Wind durch die Kapelle

8. Geist

Voll Schwermut streifte Wind durch die Kapelle.
Vor dem Altar erfleht der Gernegroß
sich Heilung, Finger falten sich im Schoß,
ein Pfaffe rückt ihm nicht mehr von der Pelle.

Gesäusel über himmlische Duelle
von Sünden und Vergehen, von Verstoß,
von Tod und Teufel schwatzt der bloß.
Er kenne davon eine Vielzahl Fälle!

In dem Moment durchfährt den Betenden ein Blitz.
Er wirft ne Münze, die plumpst in den Schlitz
und er entkommt dem schwarzen Fluch und Trug.

Wie hinter ihm die Tür ins Schlosse fällt,
dünkt er sich als ein unschlagbarer Held.
Die Welt ist schön, denkt er, und ich bin klug!

9. Geist

'Die Welt ist schön', denkt er, 'und ich bin klug.
Ein Prosit auf die Windungen im Hirn,
sie weisen mir den Weg, sind mein Gestirn,
bewahren mich vor heiligem Betrug.

Was wär ich ohne dies, wer hinterfrug
denn sonsten? Himmel Arsch und Zwirn!
Womit soll man sonst Gaunerei erspürn?',
sinniert der Dichter, denn er hat genug,

genug an Hirn, Gedanken und Verstand.
Nur hat bis dato niemand dies erkannt!
Da ploppt es kurz, perlt in den Henkelkrug

und rauscht durch seine Kehle, kühl und feucht
worauf sein lyrisches Konstrukt entfleucht:
„Erhebe dich, oh, schöner Funkenflug!“

10. Geist

„Erhebe dich, oh, schöner Funkenflug,
mach Rast bei Syrakus, dort unter Säulen
lass uns den letzten Schrei antiker Eulen
belauschen. Lang bin ich schon auf Entzug!

Wo Humbug, Firlefanz, Gewäsch zerschlug
dein edles Trachten, kämpft profan mit Keulen
(jaja, das find ich in der Tat zum Heulen!),
stirbt Poesie, verendet ohne Fug.

Drum kann ich dieses hier mit Recht behaupten:
die Heutigen sinds, die nur Reste klaubten,
vergessen und vergangen - all die Pracht.

Sie knüpfen ihre Netze in kaVau*
und lechzen nach Miau** - Ideenklau
in jeder sehnsuchtsvoll verklärten Nacht.“

11. Geist

„In dieser sehnsuchtsvoll verklärten Nacht
mit unerschöpflichen Gedankengängen,
in denen die Ideen wie Schlachtvieh hängen,
hab Stund um Stunde ich durchlebt, durchwacht.

Mein Finger streifte übern Schreibtisch sacht,
fuhr an den Kanten lang, an den Gestängen,
gewillt, das Vakuum im Kopf zu sprengen.
All das hat nicht besonders viel gebracht.

Kein Fünkchen Lyrik hat mich hier getroffen!
Stattdessen bin ich hackedicht, besoffen!
Das einzige, was mich berührt, ist Hader!

Ach könnte ich nur einmal Feen sehen!
Drei Wünsche ließe ich mir gern andrehen!***
Streif mich und meine künstlerische Ader!“

12. Geist

Streif mich und meine künstlerische Ader,
du dusslig dumme, dunkle Dunkelkammer
und hau schon drauf, am besten mit dem Hammer
und mach das Schiefe in mir noch gerader.

Ich schwöre, Alter, ich bin Zukunftskader!
Du willst ne Probe von dem Katzenjammer?
Schau, auch mein Höschen, stramm und strammer,
verrät den wahren Lyrik-Hinterlader!

Ich rappe dich in ungeahnte Sphären;
mich wird die Welt dereinst als Held verehren!
Wer sind schon Kunze, Süverkrüp und Wader?

Und wer war Goethe, Ringelnatz und Heine?
Verblichen ist ihr Tun und die Gebeine.
Hier sitze ich – ein Nichtsnutz und Salbader!

13. Geist

Hier sitze ich – ein Nichtsnutz und Salbader,
was an und für sich gar noch nichts beweist.
Und nicht bedeutet oder auch nicht heißt,
ich säße nicht auf einer Silberader!

Nicht immer waren meine Nächte fader,
nein, lustig waren sie und geil zumeist!
Ab heute fordere ich Sinn und Geist!
nicht mehr, nicht weniger: gleich im Geschwader.

Warum, fragst du, die mich hier niederschreibt,
und was zum Teufel mich zum Schreiben treibt?
Hast du nie eine Nacht versoffen und durchwacht?

Fandst du dein Leben nicht schon einmal blöde?
Ich will jetzt schreiben können, alter Schwede,
träum vor mich hin und habe nichts vollbracht.

14. Geist

Ich träume vor mich hin, hab nichts vollbracht.
Der Morgen schaut durchs Fenster um die Ecke;
da draußen tagt es in der Fliederhecke.
Die Amsel mahnt im Holz: Obacht - um Acht!

Die Traufe tropft, es gluckst im Wasserschacht,
auch rinnen munter durch die Zimmerdecke
die Regenwässerchen. Zu diesem Zwecke
ward rasch ein Topf in Position gebracht.

Ein Schirm, gespannt, gleich überm Bette
bewahrt vor Regen, darauf jede Wette,
verhindert nasse Kissen, schützt die Felle.

Mein Bauch wölbt sich gesättigt, kugelrund,
derweil ich Worte suche, überlege und
ideenschwanger hock vor der Novelle.

15. Geist

Ideenschwanger hockt vor der Novelle
ein bald bekannter großer Buchautor.
Sein Auge klebt am leeren Monitor;
der Abend ruhet draußen auf der Schwelle.

Verträumten Blicks durchmisst er die Parzelle:
- die Nachtigall singt mit dem Himmelschor,
- just überm Wald verglüht ein Meteor,
- voll Schwermut streifte Wind durch die Kapelle.

Die Welt ist schön, denkt er, und ich bin klug.
Erhebe dich, oh, schöner Funkenflug
in dieser sehnsuchtsvoll verklärten Nacht!

Streif mich und meine künstlerische Ader!
Hier sitze ich – ein Nichtsnutz und Salbader
träum vor mich hin, hab wieder nichts vollbracht!


*      kaVau: keinVerlag.de/ ein Lyrikforum
**    ein Gutsle für Menschenkind bei kaVau
***  gewidmet TassoTuwas bei kaVau

2 Kommentare:

  1. Hey, total cool! Ich bin völlig begeistert. Chapeau!

    AntwortenLöschen
  2. Danke, Drago. Nachdem es ein Gruselkranz werden sollte, hat es sich ganz einfach verselbstständigt und hat sich ganz allein geschrieben. Ich saß nur am Schreibtisch und starrte auf den Monitor ...:-D

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.