Montag, 9. Dezember 2019

Stille Nacht - Heilige Nacht


Anselm glitt mit einem Pantoffelfuß über die Schwelle ins Freie. Aus dem Innern des Hauses kreischte seine Frau: „Mach die Türe zu! Schau aus dem Fenster, wenn du wissen willst, ob es gefroren hat!“
Anselm gehorchte. In den vergangenen Jahrzehnten hatte er diesen Gehorsam schätzen gelernt. Nur mit Gehorsam war Gertrud zum Schweigen zu bringen. Ihre Stimme ertrug er nur noch selten. Ob sich unablässiges Keifen negativ auf die Stimmfarbe auswirkte, fragte er sich oft? Er wusste es nicht, erlebte aber, wie sehr er die Ruhe im Haus genoss, wenn seine Frau nicht anwesend war.
„Fährst du heute einkaufen?“ Anselm hatte die Klappe des Küchenherds geöffnet und legte andächtig zwei Kohlen in die Glut.
„Nein, ich fahre zu Mutti. Wir gehen auf den Weihnachtsmarkt. Hast du das schon wieder vergessen?" Gertruds Anorak raschelte geschäftig.  "Für Weihnachtsgedöhns hast du ja nichts übrig!“
Anselm schloss die Ofentür.
„Denk dran, ich muss kochen, wenn ich zurück bin. Dass mir der Herd auch heiß genug ist!“
Mit diesen Worten wehte Gertrud über den Flur zur Haustür hinaus.
„Natürlich, mein Liebchen“, brabbelte Anselm und beobachtete durchs Küchenfenster, wie seine Frau achtsam über den Gehweg zum Auto tapste und einstieg. Anselm wandte sich ab und setzte sich auf einen der Küchenstühle. Er musste nicht lange warten. Mit den Händen an den Ohren vernahm er dennoch deutlich den Knall.
Die Polizei ermittelte als Unfallursache fehlende Winterreifen.
„Tut mir leid, Herr Wachtmeister“, entschuldigte sich Anselm mit sparsamen Worten. „Das Auto gehörte meiner Frau. Ich selbst fahre nicht mehr.“ Damit nahm er zwei Kohlen aus dem Eimer und legte sie feierlich in die Glut.

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